Newsletter Arbeitsrecht 12/24

Verfall von Urlaubsansprüchen

Gute Vorsätze für das Jahr 2025: Erfüllung der Mitwirkungspflicht von Arbeitgebern zum Urlaub zum Jahresbeginn!

Liebe Leserinnen und Leser,

der Verfall von Urlaubsansprüchen ist eine ständig präsente Thematik, mit der sich jeder Arbeitgeber beschäftigen muss. Wieso sich Arbeitgeber insbesondere in den ersten 6 Werktagen des Kalenderjahres mit dem Verfall von Urlaubsansprüchen auseinandersetzen müssen, schildern wir Ihnen anhand einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 31.01.2023, Aktenzeichen 9 AZR 107/20.

Wichtige neue Entscheidungen im Arbeitsrecht

> Schadensersatz bei einseitiger Festlegung von Bonuszielen
BAG, Urteil vom 03.07.2024 – 10 AZR 171/23

> Diskriminierung von Teilzeitkräften durch Vorenthalten von Überstundenzuschlägen
BAG, Urteil vom 05.12.2024 – 8 AZR 370/20

Verfall von Urlaubsansprüchen

I. Ohne arbeitgeberseitige Mitwirkung kein Verfall von Urlaubsansprüchen

In den letzten Jahren hat sich in der Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubstagen viel verändert. Dreh- und Angelpunkt war dabei der § 7 Abs. 3 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG). Dieser lautet:

Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist ein nach § 5 Abs. 1 Buchstabe a entstehender Teilurlaub jedoch auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen.

Wegen des Wortlauts dieser Vorschrift sind Arbeitgeber grundsätzlich davon ausgegangen, dass nicht erfüllte Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern zum Ende des laufenden Kalenderjahres oder spätestens nach Ablauf der ersten drei Monate des folgenden Kalenderjahrs endgültig verfallen.

Dem haben sowohl der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urt. v. 6. November 2018, C-684/16) als auch das BAG (BAG, Urt. v. 19. Februar 2019, 9 AZR 423/16) eine klare Absage erteilt. Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BAG kann ein für das laufende Kalenderjahr bestehender Urlaubsanspruch nur dann im Einklang mit § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG zum Ende des laufenden Kalenderjahres erlöschen, wenn der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer dazu aufgefordert hat, ihren Urlaub rechtzeitig zu nehmen und wenn er sie zusätzlich darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub verfällt, wenn sie ihn nicht nehmen.

Hat der Arbeitgeber diesen sog. Mitwirkungspflichten nicht entsprochen, tritt der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht.

Die einzige höchstrichterlich anerkannte Ausnahme von diesem Grundsatz gilt, wenn ein Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig erkrankt war. Dann verfällt der Urlaubsanspruch 15 Monate nach Beendigung des Urlaubsjahres, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist oder nicht.

II. Der richtige Zeitpunkt für die Erfüllung der arbeitgeberseitigen Mitwirkungsobliegenheiten

Auf Arbeitgeberseite stellt sich natürlich die Frage, wann er die Arbeitnehmer auffordern muss, ihren Urlaub zu nehmen und wann er auf den Verfall der Urlaubsansprüche hinzuweisen hat.

Wir empfehlen Ihnen, im Hinblick auf das Urteil des BAG vom 31.01.2023, Az. 9 AZR 107/20, schon zu Beginn des Kalenderjahres innerhalb der ersten 6 Werktage Ihren Mitwirkungsobliegenheiten nachzukommen.

Das BAG hatte über den Sonderfall eines langzeiterkrankten Arbeitnehmers zu entscheiden. Es stellte in diesem Zusammenhang fest, dass der Arbeitgeber unter gewöhnlichen Umständen, also ohne die Erkrankung eines Arbeitnehmers, verpflichtet ist, den Arbeitnehmer direkt zu Beginn des Urlaubsjahres darauf in transparenter und nachvollziehbarer Form hinzuweisen:

  • wie viel Urlaub er hat
  • dass er diesen Urlaub nehmen muss
  • dass der Urlaub verfällt, wenn er ihn nicht nimmt

Dabei sind auch Urlaubsansprüche aus den vergangenen Jahren einzubeziehen.

Aus dem Urteil folgt für die Praxis: Mit Entstehung des Urlaubsanspruchs – in der Regel direkt am Anfang des Urlaubsjahres – hat der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten unverzüglich nachkommen. Unter normalen Umständen sei hierfür eine Zeitspanne von 6 Werktagen ausreichend.

III. Wie sind die Mitwirkungsobliegenheiten zu erfüllen?

Wir empfehlen Ihnen, Ihre Arbeitnehmer mittels eines persönlichen Anschreibens in Textform dazu auffordern, ihren Urlaub zu nehmen, und den Arbeitnehmern klar und deutlich mitzuteilen, dass ihre Urlaubsansprüche verfallen, wenn sie nicht in Anspruch genommen werden. Dabei sollte ein Weg der Übermittlung gewählt werden, der den Zugang des Schreibens beim Arbeitnehmer möglichst genau nachweisbar macht.

Achten Sie bei der Formulierung darauf, dass Sie den Urlaubsanspruch konkret durch Angabe der Urlaubstage und des Urlaubsjahres bezeichnen.
Bei der Formulierung eines Musterschreibens oder der Überprüfung bereits existierender Schreiben sind wir Ihnen gerne behilflich.

 

Fazit

Die Entscheidung des BAG gibt Ihnen als Arbeitgeber eine klare Zeitspanne vor, in der Sie Ihrer Mitwirkungsobliegenheit nachzukommen haben, um sicherzugehen, dass der Anspruch auf Urlaub auch für den Fall der frühzeitig im Urlaubsjahr eintretenden Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf von 15 Monaten verfällt. Ganz oben auf der „Neujahrs-To-Do-List“ sollte daher die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten innerhalb der ersten Jahreswoche stehen. Bei neu eingestellten Arbeitnehmern dürften diese Vorgaben entsprechend gelten: Wir empfehlen Ihnen daher, innerhalb der ersten 6 Werktage seit Entstehen des vollen Urlaubsanspruchs, folglich nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses (vgl. § 4 BUrlG), Ihre Arbeitnehmer zu belehren.

Wichtige neue Entscheidungen im Arbeitsrecht

 

1. BAG, Urteil vom 03.07.2024 – 10 AZR 171/23
Schadensersatz bei einseitiger Festlegung von Bonuszielen

Aufgrund einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 03.07.2024 zur Gestaltung von Bonusvereinbarungen sind Arbeitgeber angehalten, ihre bestehenden Vereinbarungen und die Praxis der Gewährung von variablen Vergütungen auf den Prüfstand zu stellen.

Die Vereinbarung einer variablen Vergütung mit Arbeitnehmern ermöglicht es Arbeitgebern, zusätzliche Anreize zur Erreichung von überdurchschnittlichen Arbeitsleistungen ihrer Arbeitnehmer zu setzen. Dazu müssen allerdings die Zielvereinbarungen getroffen werden.
Zumeist knüpfen Zielvereinbarungen an die persönliche Leistung der von ihr erfassten Arbeitnehmer, die Leistung einer vordefinierten Gruppe von Arbeitnehmern oder den wirtschaftlichen Erfolg des Arbeitgebers an. Üblich sind auch Zielvereinbarungen, die sowohl persönliche Ziele wie auch an das Erreichen unternehmensbezogener Ziele anknüpfen. Über die Wirksamkeit und die Leistung aus einer Vergütungsvereinbarung stritten Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor dem BAG. Hierzu enthielt der Arbeitsvertrag u. a. folgende Klausel:

„Die Festlegung einer Tantieme und deren Höhe hängen von dem Erreichen von Zielen ab, deren drei wesentliche Kriterien jedes Jahr, erstmals zum Ende der Probezeit, zwischen dem Mitarbeiter und der Gesellschaft vereinbart werden. Sollten die drei Kriterien nicht zwischen dem Mitarbeiter und der Gesellschaft vereinbart werden, werden diese seitens der Gesellschaft nach billigem Ermessen vorgegeben.“

Nach Ablauf einer dreimonatigen Probezeit forderte der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auf, mit ihm über die Zielvereinbarung zu verhandeln. Der schickte ihm zwar Zielvorstellungen zu, welche der Arbeitnehmer aber für unangemessen hielt. Seinen Gegenvorschlag lehnte der Arbeitgeber ab und legte dann einseitig Ziele nach seinem Ermessen fest. Dabei stützte er sich auf die oben genannte Klausel. Nach etwa einem Jahr Betriebszugehörigkeit kündigte der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis, weil der Arbeitgeber sich weigerte, ihm Tantiemen in Höhe von rund 97.000 Euro zu zahlen. Zudem verklagte er den Arbeitgeber auf Schadensersatz.

In erster Instanz wurde der Zahlungsklage vollumfänglich stattgegeben. Das LAG wies in zweiter Instanz einen Teil der Klage in Höhe von 14.000 Euro ab. Die weitergehende Revision des Arbeitgebers blieb erfolglos. Dem BAG zufolge hat sich der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitgeber schadensersatzpflichtig gemacht. Das BAG kritisierte dabei insbesondere zu Lasten des Arbeitgebers, dass er sich mit dem Arbeitnehmer nicht auf die Festlegung von Zielvorgaben einigen konnte. Die darauffolgende einseitige Festsetzung der Zielvorgaben durch den Arbeitgeber war aus Sicht des BAG nicht zulässig.

Die oben genannte Klausel des Arbeitsvertrags, der die einseitigen Zielvorgaben vom Arbeitgeber erlaubte, halte, so das BAG weiter, einer Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB nicht stand. Die Regelung sei zwar transparent, benachteilige den Mitarbeiter aber unangemessen nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB, weil durch sie die vertraglich vereinbarte Rangfolge von Zielvereinbarung und Zielvorgabe unterlaufen werde. Zudem werde der Arbeitnehmer davon abgehalten, die Ziele frei auszuhandeln. Damit habe der Arbeitgeber seine Pflicht aus dem Arbeitsvertrag, mit ihm Verhandlungen über eine Zielvereinbarung zu führen und eine solche abzuschließen, schuldhaft verletzt. Dieser Umstand gehe zu seinen Lasten.

Dem Urteil kommt eine ganz erhebliche Praxisrelevanz zu. Arbeitgeber sind gut beraten, die Entscheidung künftig bei der Gestaltung von variablen Vergütungssystemen zu beachten, um zu vermeiden, dass Arbeitnehmer möglicherweise erfolgreich Schadensersatzansprüche wegen fehlerhaft oder nicht zustande gekommener Ziele geltend machen.

 

2. BAG, Urteil vom 05.12.2024 – 8 AZR 370/20
Diskriminierung von Teilzeitkräften durch Vorenthalten von Überstundenzuschlägen

Kurz vor Ende des Jahres hat das BAG entschieden, dass Teilzeitkräfte denselben Anspruch auf Überstundenzuschläge haben wie Vollzeitbeschäftigte. Dies gilt schon ab der ersten Überstunde.

Geklagt hatte eine Arbeitnehmerin, die in Teilzeit als Pflegekraft bei einem ambulanten Gesundheitsdienstleister beschäftigt ist. Nach dem für das Arbeitsverhältnis geltenden Tarifvertrag gibt es zwar einen Zuschlag für Überstunden, jedoch nur für solche Überstunden, welche über die monatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden können.

Die klagende Arbeitnehmerin hatte eine erhebliche Anzahl an Überstunden geleistet, jedoch entsprechend der tarifvertraglichen Regelung weder Zuschläge dafür ausgezahlt bekommen noch Zeitgutschriften für ihr Arbeitszeitkonto erhalten. Mit ihrer Klage begehrte sie die Gutschrift von Überstundenzuschlägen in ihrem Arbeitszeitkonto. Außerdem sei sie ihrer Ansicht nach, nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe eines Vierteljahresverdienstes aufgrund einer Diskriminierung zu entschädigen.

Erstinstanzlich wurde die Klage vom Arbeitsgericht vollumfänglich abgewiesen. In zweiter Instanz erstritt die Arbeitnehmer vor dem LAG die Zeitgutschrift, die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wurde ihr aber versagt. Erst in der Revision vor dem BAG drang sie auch hiermit durch. Der Arbeitnehmerin wurde ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 250,00 € zugesprochen.

Das BAG stellt in diesem sehr praxisrelevanten Urteil fest, dass die Vergütung von Überstunden nicht pauschal davon abhängig gemacht werden darf, dass die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschritten wird. Auch Teilzeitarbeitnehmer haben mit der ersten „individuellen“ Überstunde Anspruch auf einen Zuschlag, wenn dieser Vollzeitkräften gezahlt wird. Eine anderslautende tarifliche Regelung diskriminiere die Teilzeitkräfte. Weil bei dem verklagten Arbeitgeber der Frauenanteil der in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmer bei 90 % lag, bejahte das BAG auch eine mittelbare Diskriminierung des Geschlechts.

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