Newsletter Arbeitsrecht 09/23
Hinweisgeberschutzgesetz
EU-Richtlinie (EU) 2019/1938 zum Schutz von Whistleblowern
Liebe Leserinnen und Leser,
nach der Sommerpause melden wir uns mit wichtigen Informationen zum neuen Hinweisgeberschutzgesetz. Grundlage ist die EU-Richtlinie (EU) 2019/1938 zum Schutz von Whistleblowern. Deutschland hätte diese Richtlinie bis zum 17.12.2021 in nationales Recht umsetzen müssen. Nach mehreren aus unterschiedlichen Gründen im Bundestag und Bundesrat gescheiterten Entwürfen konnte das Gesetz nun am 02.07.2023 in Kraft treten. Obwohl das Whistleblowing in Deutschland als unbeliebtes Thema gilt, geht das HinSchG in wichtigen Punkten über die EU-Richtlinie hinaus. Hier finden Sie einen Überblick.
Viel Spaß bei der Lektüre
Ihre Friederike Streitbörger
1 Einrichten einer internen Meldestelle
Alle Unternehmen mit „regelmäßig“ mindestens 50 Mitarbeitern müssen eine interne Meldestelle einrichten. Betroffen sind in Deutschland etwa 90.000 Unternehmen. Hinsichtlich der Umsetzungsfrist differenziert das HinSchG:
Unternehmen mit regelmäßig mindestens 250 Mitarbeitern müssen das Gesetz sofort umsetzen.
Unternehmen mit 50 bis 249 Mitarbeitern haben dafür bis zum 17.12.2023 Zeit.
Kleinere Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern müssen keine eigenen Meldestellen einrichten, sondern dürfen sich auf die zentrale externe Meldestelle bei dem Bundesamt für Justiz verlassen.
Kommen Unternehmen ihren gesetzlichen Pflichten nicht nach, so kann ein Bußgeld von bis zu 20.000,00 EUR, bei Unternehmen, die als juristische Personen geführt werden (z.B. GmbH, GmbH& Co KG, Aktiengesellschaft) auch bis zum Zehnfachen dieses Betrages bzw. des jeweiligen Bußgeldes, verhängt werden. Die Bußgeldvorschriften gelten allerdings erst ab dem 01.12.2023. Dies bedeutet, dass auch größere Unternehmen das Gesetz nicht zwingend vor dem 01.12.2023 dieses Jahres umsetzen müssen.
2 Meldestelle
Unternehmen müssen die Entgegennahme von Meldungen in mündlicher Form (per Telefon oder durch eine andere Art der Sprachübermittlung, z.B. Aufsprechen auf einen Anrufbeantworter) ermöglichen. Auch Meldungen in Textform (per E-Mail) müssen möglich sein. Zur Organisation der Meldestelle macht das Gesetz kaum Vorgaben. Der Arbeitgeber kann eine oder mehrere Personen (eigene Mitarbeiter) mit den Aufgaben der Meldestelle betrauen. Denkbar ist auch die Besetzung der Meldestelle durch einen Externen – zum Beispiel einen externen Ombudsmann, Datenschutzbeauftragten, Rechtsanwalt. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist die Position so zu besetzen, dass ein möglicher Interessenkonflikt zwischen den Aufgaben und Pflichten der Verantwortlichkeit für die interne Meldestelle einerseits und den anderweitigen Kompetenzen im Unternehmen andererseits vermieden wird. Sinnvoll dürfte unabhängig von der Unternehmensgröße sein, mindestens zwei Personen mit der vom Gesetzgeber geforderten Fachkunde auszustatten, sodass die dauerhafte, zuverlässige Besetzung der internen Meldestelle gewährleistet ist.
Das Unternehmen legt fest, ob die Meldestelle auch anonyme Meldungen entgegennehmen muss. Eine gesetzliche Verpflichtung dazu besteht nicht. Das Unternehmen muss seine Belegschaft über die Einrichtung und die Arbeitsweise der Meldestelle informieren.
3 Tätigkeit der Meldestelle
Für die Tätigkeit der internen Meldestelle schreibt § 17 HinSchG ein bestimmtes Verfahren vor:
- Der Eingang der Meldung muss dem Hinweisgeber binnen sieben (Kalender-) Tagen bestätigt werden,
- die Meldestelle prüft, ob der gemeldete Verstoß in den Anwendungsbereich des HinSchG fällt,
- die Meldestelle hält mit der hinweisgebenden Person Kontakt,
- sie prüft die Meldung auf Stichhaltigkeit,
- sie fragt eventuell nach weiteren Informationen,
- sie ergreift „angemessene Folgemaßnahmen“ und
- sie teilt dem Hinweisgeber innerhalb von drei Monaten mit, wie der Hinweis bearbeitet wurde: Welche Ermittlungen wurden eingeleitet? Welches Ergebnis hatten diese Ermittlungen? Wurde das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt? Wurde es an eine andere zuständige Behörde, z.B. die Staatsanwaltschaft, abgegeben?
4 Ermittlungen der Meldestelle, Folgemaßnahmen, § 18 HINSCH
Die Meldestelle nimmt interne Ermittlungen auf und kontaktiert die gegebenenfalls betroffenen Personen. In diesem Rahmen darf die Meldestelle Informationen weitergeben und Nachfragen stellen, wobei allerdings der Vertraulichkeitsgrundsatz zu gelten hat. Sieht die Meldestelle keine Möglichkeit zur weiteren Nachforschung, so kann sie den Hinweisgeber auch an eine andere zuständige Stelle verweisen.
Zentral für den Betrieb der Meldestelle ist die Vertraulichkeit der Identität aller betroffener Personen, also auch der Personen, die Gegenstand einer Meldung sind und natürlich auch die Vertraulichkeit der Identität potentieller Zeugen. Nur die Meldestelle und die Personen im Unternehmen, die für die Umsetzung von Folgemaßnahmen zuständig sind, dürfen über die Identität informiert werden. Der Vertraulichkeitsgrundsatz gilt nicht (mehr), wenn z.B. die Staatsanwaltschaft die Preisgabe der Person des Hinweisgebers verlangt.
Sicherzustellen ist außerdem, dass die Meldestelle die Meldung dokumentiert. Die Dokumentation ist gesetzlich geregelt (§ 11 HinSchG). Bei telefonischen Meldungen darf eine Aufzeichnung des Gesprächs oder eine Niederschrift nur mit Einwilligung des Hinweisgebers erfolgen, liegt diese nicht vor, so muss ein Inhaltsprotokoll angefertigt werden. Dasselbe gilt auch bei einer persönlichen Zusammenkunft. Der Hinweisgeber muss Gelegenheit erhalten, das Protokoll zu prüfen, gegebenenfalls zu korrigieren und zu unterzeichnen oder in elektronischer Form zu bestätigen. Diese Dokumentation muss drei Jahre lang aufbewahrt und dann gelöscht werden. Längere Aufbewahrungsfristen sind im Einzelfall möglich.
5 Gechützter Hinweisgeber
Die Definition der „Hinweisgebenden Personen“ ist recht weitgehend, geschützt werden (natürliche) Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben. Geschützt sind aber auch Personen, die Gegenstand einer Meldung sind und schließlich auch sonstige Personen, die von einer Meldung betroffen sind, § 1 HinSchG. Als Hinweisgeber geschützt ist also der „klassische“ Arbeitnehmer, aber auch Praktikanten, Freiwillige und Organvertreter sowie auch Bewerber und frühere Arbeitnehmer.
6 Sachlicher Anwendungsbereich
Das Gesetz erfasst Meldungen über Verstöße, die sich auf Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen einer beruflichen, unternehmerischen oder dienstlichen Tätigkeit beziehen. Hier enthält § 2 HinSchG eine umfassende Aufzählung. Die wichtigsten Verstöße, auf die sich Hinweise beziehen können, sind Verstöße gegen:
- Strafgesetze,
- Bußgeldvorschriften, die dem Schutz von Leib, Leben oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten und ihrer Vertretungsorgane dienen, insbesondere
- Mindestlohngesetz,
- Arbeitnehmerüberlassungsgesetz,
aber auch
- Produktsicherheit,
- Umweltschutz,
- Lebens- und Futtermittelsicherheit sowie
- Arbeitsschutzvorschriften (wobei hier bereits längst ein Hinweisgeberschutz besteht, gesetzlich geregelt in § 17 ArbSchG).
Nicht erfasst werden Hinweise auf private Sachverhalte und Hinweise auf AGG – Verstöße. Einige Hinweise sind explizit vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen, gemäß § 5 HinSchG sind Hinweise zur Verletzung der Berufsverschwiegenheit und zu Informationen aus dem Gesundheitsbereich nicht vom Gesetz erfasst. Auch für Geschäftsgeheimnisse gibt es gewisse Einschränkungen, vgl. § 6 HinSchG.
7 Schutz des Hinweisgebers
Geschützt ist nur derjenige, der zum Zeitpunkt der Meldung hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die gemeldete Information der Wahrheit entspricht und der weiterhin davon ausgehen konnte, dass die Information Verstöße betrifft, die in den Anwendungsbereich des HinSchG fallen. Geschützt sind auch die Unterstützer des Hinweisgebers und juristische Personen, die mit dem Hinweisgeber rechtlich verbunden sind.
Der Hinweisgeberschutz besteht in einem Verbot von Repressalien, und zwar selbst dann, wenn der Hinweisgeber die Information möglicherweise nicht rechtmäßig erlangt hat. Für das Verbot von Repressalien nach § 36 HinSchG gilt eine Beweislastumkehr: Erleidet der Hinweisgeber eine Benachteiligung im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit und macht er geltend, die Benachteiligung beruhe auf einer Meldung nach dem HinSchG, so wird vermutet, dass die Benachteiligung eine Repressalie ist. Der Verursacher der Repressalie ist zum Schadensersatz verpflichtet, § 37 HinSchG.
8 Schutz des Beschäftigungsgebers
Der Hinweisgeber ist dem Beschäftigungsgeber zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Informationen meldet. Hintergrund ist, dass falsche Verdächtigungen einer Meldung weitreichende Folgen für die Betroffenen haben können, welche sich unter Umständen nicht vollständig rückgängig machen lassen. Leicht fahrlässig handelnde Hinweisgeber sind hingegen nicht zum Schadensersatz verpflichtet.
9 Offenlegung
Unter Offenlegung versteht man das Zugänglichmachen von Informationen über Verstöße gegenüber der Öffentlichkeit, z.B. Berichte in den Medien, Informationen in sozialen Netzwerken. Der Gang an die Öffentlichkeit ist nur unter engen Voraussetzungen, geregelt in § 32 HinSchG, als Ausnahme möglich. Zunächst hat der Hinweisgeber eine Meldung an die externe Meldestelle bei dem Bundesamt für Justiz (externe Meldestelle) zu machen. Erhält der Hinweisgeber von der externen Meldestelle keine Rückmeldung oder ergreift die externe Meldestelle keine angemessenen Folgemaßnahmen, so darf er die Informationen offenlegen. Eine sofortige Offenlegung vor vorherigem Hinweis ist nur dann möglich, wenn der Hinweisgeber zu Recht Repressalien, irreversible Schäden oder eine Gefährdung des öffentlichen Interesses annimmt oder wenn er davon ausgehen muss, dass Beweismittel vernichtet werden. In er Literatur wird hierzu das Beispiel Strecker (Gammelfleischskandal im Jahr 2007) angeführt. Die Hürden für eine sofortige Offenlegung sind also hoch. Wir dürfen gespannt sein, wie die Gerichte die wenig konkrete gesetzliche Vorschrift (§ 32 HinSchG) auslegen.
10 Bußgelder
Diese sind geregelt in § 40 HinSchG, wie erwähnt ist das Nichteinrichten einer internen Meldestelle mit Geldbußen von bis zu 20.000,- EUR belegt, bis zu 20.000,- EUR drohen dem Hinweisgeber, der wissentlich falsche Informationen offenlegt, Repressalien werden mit Bußgeldern von bis zu 50.000,- EUR geahndet, dasselbe gilt für die Verletzung des Vertraulichkeitsgrundsatzes. Auch hier gilt: Die Erhöhung der Bußgelder bei Unternehmen, die als juristische Person organisiert sind, ist zulässig.
11 Mitbestimmung
Das HinSchG enthält keine Regelungen zur Beteiligung des Betriebsrats. Das Beteiligungsrecht kann sich allerdings aus § 80 BetrVG ergeben, wonach der Betriebsrat vor der Einführung eines Meldesystems zu unterrichten ist. Außerdem ist die Benennung der internen Mitarbeiter der Meldestelle mitbestimmungspflichtig nach § 99 BetrVG.
Sie sehen, dass alle betroffenen Unternehmen die neuen Vorschriften bis zum 01.12. dieses Jahres umsetzen müssen. Es besteht also Handlungsbedarf!
Hier zum Abschluss noch ein Überblick über zwei wichtige neue Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts
Zulässige Verwertung einer offenen Videoüberwachung, BAG Urt. v. 29.06.2023, 2 AZR 296/22
Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer, Teamsprecher in einer Gießerei, fristlos wegen Arbeitszeitbetruges. Der Arbeitgeber brachte vor, die auf einen anonymen Hinweis erfolgte Auswertung der Videoaufzeichnungen einer durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch nicht zu übersehenden Videokamera an einem Tor zur Werksgelände habe ergeben, dass der Arbeitnehmer das Werksgelände noch vor Schichtbeginn wieder verlassen habe, obwohl er vorgegeben hatte, die Schicht gearbeitet zu haben.
Die Instanzgerichte gaben der Kündigungsschutzklage statt und berücksichtigten dabei die Videoaufzeichnungen am Tor zum Werksgelände nicht. Dies sah das BAG anders und verwies das Verfahren zurück an das LAG. Die Instanzgerichte, so das BAG, hätten die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung bei der Entscheidung berücksichtigen müssen. Es spiele keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Datenschutzes entsprach. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Klägers durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DSGVO nicht ausgeschlossen. Dies gelte jedenfalls, wenn die Datenerhebung wie hier durch die sichtbare und gekennzeichnete Videokamera vorsätzlich vertragswidriges des Arbeitnehmers zu Tage gefördert habe. Das BAG ließ offen, ob ausnahmeweise ein Verwertungsverbot selbst bei vorsätzlichen Pflichtverstößen in Betracht kommt, wenn die offene Überwachungsmaßnahme zu einer schwerwiegenden Grundrechtsverletzung führt. Dies war hier nicht der Fall.
Fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers wegen beleidigender und menschenverachtender Äußerungen über Vorgesetzte und Arbeitskollegen in einer privaten Chatgruppe, BAG Urt. v. 24.08.2023, 2 AZR 17/23.
Der Arbeitgeber hatte dem Arbeitnehmer fristlos gekündigt, weil sich dieser in einer aus sechs Mitarbeitern bestehenden privaten Chatgruppe beleidigend, rassistisch, sexistisch und auf eine zu Gewalt aufstachelnde Art und Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen geäußert hatte. Die Äußerungen waren so drastisch, dass das Bundesarbeitsgericht sie nicht wiedergeben wollte (In dem vollständig abgefassten Urteil, welches allerdings noch nicht vorliegt, wird dies jedoch voraussichtlich geschehen müssen). Der Arbeitnehmer gewann den Kündigungsschutzprozess in der ersten und in der zweiten Instanz, weil die Gerichte da-von ausgingen, dass sich der Arbeitnehmer auf die Vertraulichkeitserwartung in der privaten Chatgruppe, bestehend aus sechs Kollegen berufen konnte. Dies sah das Bundesarbeitsgericht anders. Zwar nahm es zur Kenntnis, dass sich die Teilnehmer der privaten Chatgruppe auch über rein private Themen austauschten, eine „berechtigte Vertraulichkeitserwartung“ des Arbeitnehmers zu den vorgenommenen Äußerungen sah das BAG allerdings nicht. Dies sei nur der Fall, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den „besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen“ könnten. Dies wiederum, so das BAG, ist abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten und auch der Größe und der personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Äußere sich ein Chatgruppenmitglied beleidigend und menschenverachtend über andere Betriebsangehörige, müsse besonders begründet werden, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, der Inhalt werde von keinem anderen Gruppenmitglied nach außen getragen. Das BAG verwies den Rechtstreit zurück an das Landesarbeitsgericht Niedersachsen. Am selben Tag wurden zwei weitere Revisionsverfahren mit selbem Inhalt und selbem Ergebnis, betreffend zwei weitere Chatgruppenmitglieder, entschieden.
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