Newsletter Arbeitsrecht 10/24

Ein „Recht zum Rausch“ auch im Arbeitsverhältnis?

Die Folgen des Cannabisgesetzes für Arbeitgeber

Liebe Leserinnen und Leser,

nach langer Newsletter-Pause melden wir uns mit einem politisch und gesellschaftlich kontrovers diskutierten Thema zurück.

Seit dem 01.04.2024 ist der Besitz von 50 g Cannabis im häuslichen Bereich und in der Öffentlichkeit von 25 g für den Eigenkonsum erlaubt. Erst kürzlich hat der Bundestag ergänzend zum neuen Cannabisgesetz (CanG) am 06.06.2024 einen Grenzwert für den in der Cannabispflanze enthaltenen Wirkstoff THC am Steuer und bei Geldbußen bei Verstößen festgelegt – ähnlich der 0,5-Promille-Grenze bei Alkohol. Dieser Wert liegt bei 3,5 Nanogramm (ng) THC je Milliliter Blutserum gemäß § 24a Abs. 1a StVG. Ein genauer THC-Wert lässt sich nach derzeitigem Stand der Wissenschaft nur durch eine Blutprobe ermitteln.

Für Arbeitgeber stellt sich damit die Frage, inwieweit der Konsum bzw. der Besitz von Cannabis am Arbeitsplatz legalisiert wurde. Mit unserem arbeitsrechtlichen Newsletter wollen wir Ihnen hierzu einen Überblick geben.

Wichtige neue Entscheidungen im Arbeitsrecht

 

> Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
BAG Urteil v. 13.09.2023 – 5 AZR 137/23

> Böswilliges Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes
BAG Urteil vom 24.01.2024 – 5 AZR 331/22 und BAG Urteil vom 07.02.2024 – 5 AZR 177/23

> Kürzung des Urlaubsanspruchs
nach § 17 Abs. 1 BEEG / BAG Urteil vom 16.04.2024 – 9 AZR 165/23

Die Folgen des Cannabisgesetzes für Arbeitgeber

Ein "Recht zum Rausch" auch im Arbeitsverhältnis?

I (K)ein „Recht zum Rausch“ – das CanG

Entgegen der nun weit verbreiteten Auffassung sind der Besitz, der Erwerb und die Abgabe von Cannabis gem. § 2 Abs. 1 CanG weiterhin verboten. Der Gesetzgeber hat von diesem Verbot lediglich nach § 2 Abs. 3 CanG Ausnahmen normiert. So ist der Besitz von bis zu 50 g Cannabis bei Volljährigen an ihrem Wohnsitz oder an ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort für den Eigenkonsum sowie von bis zu drei Cannabispflanzen erlaubt. Außerhalb dieser Bereiche – und damit ebenfalls auf dem Betriebsgelände – dürfen volljährige Personen gem. § 3 I CanG lediglich 25 g Cannabis mit sich führen.

Trotz dieser Teillegalisierung bleibt Cannabis jedoch ein Rausch- und Suchtmittel. Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegründung zum CanG deutlich gemacht. Dort heißt es, dass der Konsum von Cannabis eine berauschende Wirkung hat, welche Bewusstseins- und Wahrnehmungsstörungen zur Folge haben kann. Weiter bestünde bei regelmäßigem Konsum ein hohes Abhängigkeitspotenzial. Auch außerhalb des CanG verankerte bzw. bereits vor dessen Inkrafttreten geltende Rechtsnormen stellen klar, dass der Konsum von Cannabis eine berauschende Wirkung haben kann. So wird Cannabis mit seiner Substanz THC in der Anlage zu § 24a StVG als berauschendes Mittel benannt. Dazu wurde in § 24a StVG zusätzlich der Abs. 1a eingefügt, welcher nun rechtssicher und transparent den Grenzwert für Autofahrerinnen und Autofahrer festlegt.

II (K)ein Joint am Arbeitsplatz

Für den Konsum von Cannabis während der Arbeitszeit trifft das CanG keine ausdrücklichen Regelungen, es verbietet den Konsum während der Arbeit nicht. Außerhalb von gesetzlichen Konsumverboten kann dies je nach derzeit geltenden betrieblichen Regelungen dazu führen, dass der Genuss von alkoholischen Getränken in der Pause verboten, der Konsum von cannabishaltigen Zigaretten oder Gebäck jedoch erlaubt ist. Dies gilt jedenfalls so lange, wenn sich der Cannabiskonsum nicht negativ auf die Arbeitsleistung auswirkt.

Um für Mitarbeiter klare Regeln zu schaffen und Risiken im Hinblick auf den Versicherungsschutz etwa bei Unfällen im Betrieb zu minimieren, besteht für Arbeitgeber also Handlungsbedarf!

In Betriebsvereinbarungen, Betriebsordnungen, Dienstwagenvereinbarungen oder sonstigen betrieblichen Regelungen finden sich teilweise Alkohol- und Drogenverbote – aufgrund der teilweisen Legalisierung ist Cannabis davon aber nicht mehr umfasst.

Praxistipp

Nach der Teillegalisierung von Cannabis dürften die meisten der derzeit geltenden betrieblichen Regelungen veraltet sein. Arbeitgeber sollten in einem ersten Schritt eine Inventur ihrer betrieblichen Regelungen hinsichtlich Ge- und Verboten zu Alkohol und Drogen durchführen.

 

III Gesetzliche Konsumverbote

Unabhängig von betrieblichen Regelungen bestehen gesetzliche Konsumverbote, welche nicht an das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses anknüpfen. Wegen ihres allgemeinen Verbotscharakters untersagen sie den Konsum von Cannabis auch am Arbeitsplatz und in der Freizeit.

Ein Verbot enthält § 5 CanG, wonach es Mitarbeitern auch arbeitsrechtlich verboten ist, während der Arbeitszeit bzw. auf dem Betriebsgelände

  • Cannabis in unmittelbarer Gegenwart von minderjährigen Personen (z. B. einem minderjährigen Auszubildenden) zu konsumieren
  • Cannabis in Schulen sowie in Kinder- und Jugendeinrichtungen oder auch nur in deren Sichtweite öffentlich zu konsumieren.

Neben der Einhaltung von gesetzlichen Grenzwerten im Straßenverkehr gem. § 24a Abs. 1a, 2 StVG, dürften für Arbeitgeber insbesondere folgende absolute Rauschmittelverbote interessant sein:

  • § 8 III BOKraft für das im Fahrdienst eingesetzte Betriebspersonal (Busfahrer),
  • § 13 III BOStrab für die Betriebsbediensteten (Straßenbahnfahrer),
  • § 4a I 1 LuftVG für Luftfahrzeugführer (Piloten).
  • § 9 GGVSE i.V.m. § 10 GGBefG für Berufskraftfahrer, die Gefahrengut transportieren

Diese untersagen den betreffenden Arbeitnehmern nicht nur den Konsum berauschender Substanzen während des Zeitraums zwischen Beginn und Ende der Arbeitszeit. Sie begründen darüber hinaus ein absolutes Rauschmittelverbot, indem sie bereits das Führen der Kraft-, Schienen- sowie Luftfahrzeuge „unter der Wirkung“ bzw. „unter dem Einfluss“ von Mitteln, gleich welcher Art, untersagen, soweit es sich dabei um „die dienstliche Tätigkeit beeinträchtigende Mittel“ oder um „Alkohol oder andere(n) psychoaktive(n) Substanzen“ handelt.

Praxistipp

Mitarbeiter müssen durch entsprechende Informationen unterrichtet und sensibilisiert werden. Verstöße gegen absolute Verbotsnormen haben zunächst negative Folgen für den Mitarbeiter selbst. Der Konsum von Cannabis am oder in unmittelbarer Nähe zum Betriebsort kann sich negativ auf die Reputation des Arbeitgebers und das Arbeitsverhältnis auswirken. Zu nennen sind hier folgende Beispiele: Beschwerden von Nachbarn, auffälliges Verhalten in Dienst- und Arbeitskleidung und Verlust der Fahrerlaubnis.

 

IV Unbeeinträchtigte Erbringung der Arbeitsleistung

Das Direktionsrecht des Arbeitgebers endet am Werkstor – diese plakative Aussage gilt im Grundsatz auch bei Konsum von Cannabis. Welche legalen Drogen der Arbeitnehmer in seiner Freizeit und außerhalb des Betriebsgeländes konsumiert, ist grundsätzlich Privatsache.

Klar ist aber auch, dass Mitarbeiter sich in ihrer Freizeit und im Betrieb nicht in einen Zustand versetzen dürfen, der die ordnungsgemäße Erfüllung der Arbeitsleistung stört oder unmöglich macht. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers beginnt in diesem Zusammenhang wegen der oftmals langanhaltenden Wirkung von Cannabiskonsum jedoch nicht erst am Werkstor oder der Bürotür, sondern wirkt sich auch zwangsläufig auf das Freizeitverhalten aus. Denn Mitarbeiter haben in einem arbeitsfähigen Zustand ihre Arbeitsleistung zu erfüllen, sodass auch der Cannabiskonsum unmittelbar vor der Arbeit untersagt ist. Mit Blick auf die Unfallverhütungsvorschrift des § 15 II DGUV und die allgemeine Fürsorgepflicht von Arbeitgebern ist es notwendig, klare Reglungen für den Umgang mit Cannabis aufzustellen. Der wohl sicherste Weg ist, den Cannabiskonsum im Betrieb ausnahmslos zu verbieten. Zudem sollten das Mitführen und damit insbesondere das Weitergeben von Cannabis am Arbeitsplatz verboten werden. Darüber hinaus sollte klar geregelt werden, dass das Arbeiten in einem cannabisbedingten Rauschzustand untersagt ist. Erst wenn im Betrieb klare Regelungen gelten, können arbeitsrechtliche Sanktionen wie etwa Abmahnungen oder Kündigungen verhängt werden.

Praxistipp

In mitbestimmten Betrieben unterliegen alle Konsumverbote der Mitbestimmung des Betriebsrates gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Arbeitgeber sollten sich zeitnah mit den betrieblichen Mitbestimmungsorganen zusammensetzen und bestehende Betriebsvereinbarungen überarbeiten oder neu aushandeln. Betriebsordnungen, Dienstwagenvereinbarungen und bei sicherheitsrelevanten Tätigkeiten auch Arbeitsverträge sollten ebenfalls zeitnah auf den rechtlichen Prüfstand gestellt werden.

 

Fazit:

Ein „Recht zum Rausch“ während der Arbeit hat der Gesetzgeber nicht geschaffen. Die Teillegalisierung von Cannabis wirkt sich jedoch auch auf die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie den Mitbestimmungsorganen aus. Arbeitgeber sind gut beraten, klare Regelungen zum Umgang mit Cannabis im Betrieb zu treffen bzw. bestehende Regelungen zu prüfen und bei Bedarf anzupassen.

Wichtige neue Entscheidungen im Arbeitsrecht

1. BAG Urteil v. 13.09.2023 – 5 AZR 137/23
Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Schon etwas älter aber dennoch hoch aktuell ist das Urteil des BAG zum Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei Vorliegen „besonderer Begleitumstände“: Der Arbeitnehmer – ein Leiharbeitnehmer – war vom Tag der Kündigung des Arbeitsverhältnisses während der gesamten Kündigungsfrist mit unterschiedlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen krank. Das Arbeitsverhältnis endete am 31.05.2022 – am 01.06.2022 war der Kläger wieder gesund. Der Arbeitgeber ver-weigerte die Entgeltfortzahlung für die gesamte Kündigungsfrist. Das BAG stellte fest, dass die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit ist. Grundsätzlich reiche die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung (nach altem EFZG) aus, um dem Arbeit-geber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen. Der Arbeitgeber könne den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeit jedoch erschüttern. Dies sei der Fall, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar nach einer Kündigung erkrankt und nach den Gesamtumständen Indizien vorliegen, die Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit begründen. Darauf, so das BAG, deute insbesondere eine zeitliche Koinzidenz zwischen Kündigungsfrist und Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit hin – und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer gekündigt hat. Im konkreten Fall nahm das BAG eine Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen insbesondere deshalb an, weil diese jeweils von einem Montag bis zu einem Freitag ausgestellt wurden, die letzte Bescheinigung jedoch bis zum Dienstag, den 31.05. (Ende des Arbeitsverhältnisses). Auch die Aufnahme der Folgebeschäftigung am 01. Juni bei bester Gesundheit sei ein verdächtiger Umstand.

Ergeben sich aus den Begleitumständen ernsthafte Zweifel am Beweiswert an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, so muss der Arbeitnehmer offenbaren, an was für einer Erkrankung er litt und auf welchem Wege die Bescheinigung erteilt wurde (persönliche Untersuchung / telefonischer Kontakt / Online). Dazu muss er in der Regel auch seinen behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden.

2. BAG Urteil vom 24.01.2024 – 5 AZR 331/22 und BAG Urteil vom 07.02.2024 – 5 AZR 177/23

Böswilliges Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes

Das BAG entschied am 24.01.2024, dass ein Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Annahmeverzugslohn im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens hat, wenn er vorsätzlich untätig bleibt und keine anderweitige Beschäftigung sucht oder wenn er sich im Hinblick auf die Zahlungspflicht des Arbeitgebers vorsätzlich mit einer zu geringeren Vergütung zufrieden gibt.

Dem Urteil vom 07.02.2024 lag zugrunde, dass der Kläger nach seiner Kündigung sich zwar bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet, dort jedoch mitgeteilt hatte, er wünsche keinen neuen Arbeitsplatz und könne sich bewerben, wenn man ihn dazu zwinge. Er werde einem potentiellen Arbeitgeber aber bei Bewerbungen mitteilen, dass ein Gerichtsverfahren mit dem letzten Arbeitgeber laufe und er dort unbedingt weiterarbeiten wolle. Dieses Verhalten wertete das BAG als böswilliges Unterlassen der Erzielung eines anderweitigen Verdienstes. Der Kläger musste sich also fiktive Einkünfte auf den Annahmeverzugslohnanspruch nach § 11 KSchG anrechnen lassen.

3. BAG Urteil vom 16.04.2024 – 9 AZR 165/23

Kürzung des Urlaubsanspruchs nach § 17 Abs. 1 BEEG

Die Vorschrift wird von Arbeitgebern oft nicht beachtet. Der Arbeitgeber ist berechtigt, den Jahresurlaub eines Mitarbeiters in Elternzeit für jeden vollen Monat der Elternzeit anteilig zu kürzen. In dem entschiedenen Fall ging es nicht um die Kürzung des Urlaubs als solchem, sondern um die Kürzung der Urlaubsabgeltung. Der Arbeitgeber hatte bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Erklärung nach § 17 BEEG abgegeben, wollte dann aber die Urlaubsabgeltung kürzen. Das BAG entschied, dass dies unzulässig ist, da auch die Urlaubsansprüche nicht verfallen waren. Der Arbeitgeber, so das das BAG, müsse den Anspruch des Arbeitnehmers auf Erholungsurlaub während des bestehenden Arbeitsverhältnisses, also vor rechtlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses, kürzen. Spätere Erklärungen entfalten keine rechtliche Wirkung.

Ihr Ansprechpartnerin

Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an:

Streitbörger PartGmbB
Friederike Streitbörger
Adenauerplatz 4
33602 Bielefeld